Donnerstag, 19. November 2009

.. in die große Welt hinein

15.11.
Brr, Beijing ist im Vergleich zu Hefei doch etwas kälter. Nachdem ich drei Stunden durch die Stadt gewandert bin, bin ich kaum in der Lage, meine Hände zu bewegen. Ich musste im Bookworm - einem kleinen Café im Chaoyangbezirk von Beijing - Zuflucht suchen.
Das Stipendiatentreffen war überraschend gut! Neben der Angenehmheit, nach fast drei Monaten in Asien ein westliches Frühstücksbuffet und ein gewärmtes Zimmer zu bekommen, hat auch das Programm Spaß gemacht. U.a. gab es einen Empfang in der deutschen Botschaft (Freibier inklusive, was die meisten von uns Studenten voll ausgeschöpft haben), einen Vortrag vom Zeit-Korrespondenten in Beijing Frank Sierer (etwas populistisch) und eine Stadtrundfahrt mit einem italienischen Architekten (der jede Menge Fachwissen über Stadtplanung sowie trockenen Humor dabei hatte). Ein paar andere Sachen waren keine unbedingten Highlights (Vortrag über Arbeitschancen in China etc.). Insgesamt war nur ein Tag mit Programm gefüllt.. Die anderen Studenten hab ich hier zum ersten mal getroffen, es gibt momentan weder aus Duisburg noch in Hefei DAAD-Stipendiaten! "Merkwürdigerweise" waren die meisten in Shanghai stationiert und studierten BWL auf englisch. Aber man kann ja trotzdem ein guter Mensch sein ;-).
Am meisten hab ich mich vorher darauf gefreut, zu sehen ob sich Beijing verändert hat. Hier spriessen grade ein paar neue Wolkenkratzer aus dem Boden, am Tiananmen-Platz stehen bescheuerte Stelen, die Chinas 56 (richtig gezählt?) ethnische Minderheiten symbolisieren sollen, und die vorher symphatischere Dazhalan-Xijie-Straße, wo ich mir ein Hostel gesucht habe, wurde aufgepimpt und sieht jetzt etwas steril aus, etwa so wie die CentrO.-Promenade. Mein Lieblingsessen vom letzten mal, uighurisches gegrilltes Brot ("Kaonang") gabs immer noch, auch wenn der Grillmeister nicht mehr der selbe war. Und auch "mein" altes Haus stand noch - ich war mir aber nicht sicher, welche Nummer unsere Wohnung hatte und hab deshalb nicht geklingelt - mal ganz davon abgesehen, dass meine ehemaligen Flatmates auch vermutlich umgezogen sind.. Ich habe die ganze Zeit über das Gefühl, dass die Stadt viel sauberer und aufgeräumter aussieht als vor zwei Jahren - vielleicht liegt das daran, dass vor Olympia so viel fertiggebaut wurde und die Stadt dann nochmal für den 60. Geburtstag der Volksrepublik herausgeputzt wurde?

Vor zwei Wochen gab es übrigens einen plötzlichen und starken Schneefall in Beijing, nach dem mir von allen Seiten das Gerücht zugetragen wurde, die Wetterbeeinflussungsbehörde habe eigentlich Regen machen wollen und sich verkalkuliert.. Für den Besuch von Obama in Beijing heute abend ist jedenfalls für einen blauen Himmel gesorgt, wobei das in Beijing im Winter eigentlich Normalzustand ist.
Als ich das letzte mal hier war, wurde z.B. am CCTV-Gebäude noch gewerkelt - das ist inzwischen längst fertig, leider ist das zum Komplex gehörende TVCC (das kleinere dahinter) beim letzten chinesischen Neujahr abgebrannt, irgendjemand hatte die Sache mit dem Feuerwerk übertrieben.. ;-) Ziemlich beeindruckend ist auch das Olympiagelände (nicht so organisch in die Stadt eingefügt wie in München, aber kolossaler), wo wir uns gestern beim Besuch den Popo abgefroren haben.
Nach diesem Wochenende, an dem ich vom deutschen Staat nach allen Regeln der Kunst verwöhnt wurde (danke Staat!), geht morgen abend mein Nachtzug nach Xi`an, wo es bestimmt klasse wird. Auf die Terrakotta-Armee bin ich zwar gar nicht so scharf, aber ein Besuch in der Stadt ohne wär wohl beschämend. Andere Highlights sollen angeblich die Stadtmauer und das Muslimviertel (entspricht das Duisburg-Marxloh?) sein ..


18.11.
Ich bin also Montag abend nach einem leckeren Abendessen mit Jonas (einem Mit-Stipendiaten) und zwei Freunden von ihm in den Zug nach Xi`an gestiegen, nach zwei Tagen durch-die-Stadt-rennen ziemlich müde und nur darauf aus, zu schlafen - aber natürlich wurde daraus nicht viel: Ein älterer Chinese, der das Bett über mir hatte, rezitierte mit voller Stimme irgendeinen Quatsch, der sich für mich wie eine Comedy-Vorstellung angehört hat. Vielleicht auf dem Weg zu einem Talentwettbewerb in Xi´an? Leider hat niemand den guten darauf aufmerksam gemacht, dass das ziemlich nervte, und ich wollte auch nicht den unfreundlichen Ausländer geben. Ich habe mir dann stattdessen ein Terry Pratchett-Hörbuch angehört. Auch als er endlich fertig war, war das Einschlafen nicht viel einfacher, da der Kerl wie eine Seekuh zu schnarchen angefangen hat. Ai ya!


Das besondere an Xi´an ist, dass die ganze Stadt von einer riesigen Stadtmauer umgeben ist, auf der man wandern, radfahren u.a. kann. Beijing hatte sowas auch mal, bis die Mauern abgerissen und durch die zweite Ringstraße ersetzt wurde, sodass nur noch einige kümmerliche Überreste im Südosten zu sehen sind. Nachdem ich in einem netten Hostel am Südtor meinen Reiserucksack abgeladen habe, habe ich den Bus zu Xi´ans Nummer-1-Attraktion, der Terrakotta-Armee, genommen.

Die Armee wurde für den ersten Kaiser Chinas (ca. 221 v.Chr.) gebaut - warum genau, ist nicht bekannt; es wurde damals auch nirgendwo vermerkt, dass überhaupt eine Tonarmee gebaut wurde. Erst 1974 waren Teile der Armee von Bauern, die einen Brunnen graben wollten, gefunden worden - vermutlich wurden die danach schnell verscheucht, damit der Rest fachgerecht ausgehoben werden konnte. Die Armee ist nicht direkt am Grab des ersten Kaisers, sondern leicht abgelegen und darum verstreut - eine einfache Grabbeilage war es also genausowenig wie ein Schutz vor Plünderern. Vermutlich wollte der leicht durchgedrehte chinesische Kaiser, der unter Verfolgungswahn litt, mit allen möglichen als lebensverlängernd angesehenen Substanzen (u.a. Quecksilber) experimentiert hatte, den Bau einer ersten großen Mauer anordnete sowie den Besitz von Büchern unter Strafe stellte und einmal mehrere tausend Gelehrte lebendig begraben liess (laut den konfuzianischen Schreibern, die eventuell leicht voreingenommen waren), eine schlagkräftige Armee im Nachleben haben.

Die Ausstellung - in drei Hallen, wo jeweils andere Ausgrabungsstätten präsentiert werden - war nicht übel, ich hätte mir aber mehr Erläuterungen und Hintergrundinfos gewünscht, vielleicht auch Vergleiche zu ähnlichen Monumenten in anderen antiken Kulturen und was es nicht alles gibt. So hatte alles leicht den Charakter von "einmal gesehen, und ab zurück in den Bus". Ich hätte natürlich für mich allein einen Reiseführer anheuern können.. Ziemlich beeindruckend war, wie unterschiedlich und vielfältig die einzelnen Figuren sind, an denen man unterschiedliche Waffen, Kleidung, Mützen, Gesichtszüge und Schnurrbärte sieht (fast jeder Krieger hatte einen fabelhaften Schnurrbart, was angesichts den zurückhaltenden Bartwuchses der meisten Chinesen etwas verwunderlich ist)! Ausserdem wurden nicht nur Soldaten, sondern auch Tänzer, Tiere und deren Dompteure gefertigt und begraben. Dazu kommen dann noch einige Bronzekutschen, deren Einzelteile, Pferde und Lenker in mehr als 3.000 Teilen einzeln gegossen wurden. Viel Lärm um einen Kaiser also..

Weil mir Xi´an gut gefallen hat habe ich mich entschlosse, nicht mit Zwischenstopps in Luoyang und Kaifeng zurückzufahren, sondern länger zu bleiben und dann mal wieder einen direkten Nachtzug zu nehmen. Ziemlich viel an der Stadt hebt sich nicht von anderen Städten, z.B. auch Hefei ab. Ich find es schwer auf Anhieb zu beschreiben, aber die Straßen sehen auch hier typisch chinesisch aus, ziemlich grade, viele Autos, etwas auswechselbare Straßenzüge und Läden, die sich jeweils nicht von anderen in der Umgebung abheben, riesige Neubauprojekte, bei denen einiges gut, anderes abartig aussieht und so weiter. Das hört sich etwas hart an, aber die meisten chinesischen Städte sind an sich nunmal meistens nicht besonders schön, gefällig oder was auch immer ;-).



Das Muslimviertel der Stadt ist dagegen wirklich nett - wenn man das wirtschaftsgeographisch erklären will scheint das der Stadtteil zu sein, der für Bürger und Touristen von Xi´an einen Bedeutungsüberschuss an Snacks hat (ein Hektagramm konnte ich aber nicht finden ;P); jedes zweite Haus ist eine Snackbude mit "typischen Muslimgerichten". Gewusel auf den Straßen, die lustigen Leute mit Käppchen und Kopftüchern, den Stände mit Feigen, Datteln und anderem Trockenobst und Straßenmetzgereien, vor denen riesige Fleischstücke und Tiere rumbaumeln.. Und anders als in Restchina gibt es hier Brot, also wenn man die Milchbrötchen, die man an jeder Trinkhalle in China bekommt, mal aussen vor lässt.

Mitten im Moslemviertel findet man die "Große Moschee", die mit leicht chinesischem Touch gebaut wurde. Man erkennt erst auf den zweiten Blick, dass das überhaupt eine Moschee ist und nicht ein buddhistsicher Tempel: Das Gelände geht nicht von Süd nach Nord wie chinesische Tempel, sondern von Ost nach West (Mekka..). Wie in chinesischen Tempeln gibt es eine "Geisterwand", die beschränkte Geister, die nach chinesischem Glauben nicht um Ecken gehen, davon abhält in den Tempel zu kommen. Und das Minarett, naja, man hätte es auch für eine Pagoda halten können.
Hie und da sieht man aber doch arabische Kalligraphien, einen Koran, das große Gebetshaus am Kopf des Geländes, und es ist - grade auch mit dem Schnee, der hier auf den Häuserdächern liegt - klar eine der schönen Tempelanlagen. Das befindet auch das offizielle Guidebook zur Moschee, das etwa den "Ein-Gott-Pavillion" wie folgt beschreibt: "The whole architecture seems to be a beautiful Phoenix which is opening its wings and is about to fly."

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